Rainer Maria Rilke / Lou Andreas-Salomé.

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ich ihm in einem Punkt erst nachkam, und der er- scheint mir als ein Hauptpunkt. In dem namlich, was er in sich selbst durchlitten hatte in jahrelanger Qual, hatte er etwas vorweggenommen vom tiefsten Er- leiden dieser Zeit. Denn - weit hinweg iiber alle Meinungs- und Vaterlandsunterschiede - war es nicht vor allem erschiitterndes Innewerden dessen, was wir Menschen sind? - ein Innewerden fur jeden, in all den Volkern, ganz einzeln, ganz personlich, wie fern der betreffende Einzelmensch auch, im Denken und Handeln, dem Geschehenden gestanden haben, wie unveranlassend er sich ahnlichen Geschehnissen gegeniiber fiihlen mochte. Die Einsicht, wer wir Men¬ schen sind, denen solches untereinander geschehen kann, wirft Betroffene und Veranlassende zusammen; ruft jeden heran; zwingt, unterschiedslos, die eigenen Schultern, mitzustemmen unter alien gemeinsamer Ge- wissenslast; demiitigt und klart unsere naive Selbst- zufriedenheit - die Freude an uns auf ein Mindest- maB herabsetzend, das fast ans Lebensmark greifen kann Nun, dort stand bereits, seit so langem, einer, den seine Anspriiche an schopferische Leibhaftwer- dung seiner Gesichte eingeweiht hatten ins dunkle Wissen um das Menschliche, ihn in Tieferes hinab- gestoBen hatten, als man sonst erreicht - einer, der an den Grenzen des Menschenmoglichen sich auf- baumte und immer dichter gegen dessen Abgrtinde