Rainer Maria Rilke / Lou Andreas-Salomé.

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nes physischen und seines geistigen Seins, als ob jedes von sich aus das Ganze darstellen wolle und keins sich an die ersehnte Totalitat aufgeben - dies wirkte sogar auf sein leibliches Aussehen ein. In einer unbegreif- lichen Weise erschien mir’s wenigstens so und beun- ruhigte mich wie eine Bedrohung der Zukunft. Seinem Antlitz fehlte fast die Alterung, die natiirliche, worauf die Jahre ein Recht geben, und die nicht nur Verfall, sondern Inschrift ist, aber an Stelle dessen batten seine Ziige aufgehort, ganz die seinen zu sein. VergroBert und bang standen dariiber die Augen, als wiiBten sie, daB diesem Gesicht etwas zugestoBen sei, als fragten sie, ob jemand, und wer, es sich widerrechf- lich zugelegt habe. Nase, Mund, Kinn, Halsansatz, wurden fremder - wenn auch von so schwer FaB- lichem mit verstandlichen Worten nicht zu reden ist und wenn es auch viele Stunden gab, die es vollig wieder verwischten. Wie er selber etwas Ahnliches durchempfand, erweist vielleicht ein kurzes Gesprach, das wir, nach langerer Trennung, vor vielen jahren hatten. Wir gedachten gerade des Umstandes, daB ehemals, wenn er, je nach seiner innern Verfassung, als der Beschwingte oder als der Erloschene auftrat, wir diese Doppelung betitelt hatten mit: „Rainer“ und mit: „der Andere“. Als ich nun aufrichtig versicherte, mir kame der Eindruck von Zweierlei viel seltener, der des Eindeutigen viel ofter als damals, da blickte