Rainer Maria Rilke / Lou Andreas-Salomé.
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Inbesitznahme, solche noch nie ermoglichte Aufnahme vor sich: im Lauschen auf die Kunde, die vom Ver- stummten anhebt - „das Wehende bore! die ununterbrochene Nach- richt, die aus Stille sich bildet.“ So ist es mir gewesen beimjahreswechsel von 1926 auf 27, den Rainer Maria Rilke den „drohend wehen- den“ nannte im Brief vom Sterbebett. Gering ward da der besturzende Unterschied zwischen Uberleben und Sterben. Unwiderstehlich drangte sich da ins Wissen, wie ganz aller Verkehr in der Gewalt unserer Hinwendung besteht: sind sie doch alle, und die Ge- liebtesten zumeist, ihrerseits stets schon Zeichen und Bilder friihester Liebeshinwendungen, an denen wir lieben gelernt, ehe sie selbst vielleicht lebten — so, wie ostliche Wolkengebilde vom Sonnenuntergang am Westhimmel erglanzen. Und wenig nur wissen wir zeitlebens davon, womit wir am Strahlendsten - so daB es zu leuchten nicht aufhoren kann - ver- bunden sind. Geliebtes gibt es, das im Sarge ruhen bleibt, vielleicht am trauerndsten beweint um sein Totsein; und anderes gibt es, das jeglichem, was uns sich noch ereignen mag, lebendig antwortet, in Zwie- sprache, als wiirde es selber daran immer erneute Wirklichkeit, weil sie das anriihrt, was uns mit Tod und Leben ewig zusammenschlieBt.