Rainer Maria Rilke / Lou Andreas-Salomé.
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Dementsprechend hatte ihn nichts so tief erschreckt
wie die Tatsache, daB er den ihn uberwaltigenden Ein-
driicken zuletzt nur noch durch ein „Angehaltensein
des Herzensa nachkommen konnte und die Fuhlfahig-
keit hilflos uberstiegen fuhlte. Er klagt es noch 1919
(13. Januar aus Miinchen):
„Liebe, liebe Lou, wie bin ich doch auBer Fassung,
mein Innerstes hat sich zuriickgezogen und geschiitzt
und gibt nichts her, und mein Nicht-annehmen-
Wollen von auBen ging so weit, daB schlieBlich nicht
allein der Krieg, sondern selbst die argloseste und
reinsteNatur nicht mehr an mich heranwirkte. Nie bin
ich vom Wind aus dem Raum, von Baumen, von den
nachtlichen Sternen, so unerreicht gewesen; seit ich
das alles aus der bosen Verkleidung des Infanteristen-
rocks heraus anstarren muBte, hats eine Abwendung
erfahren, jene Unbeziiglichkeit, zu der ich es damals
notigte, um mirs nicht zu verderben “
Hier tritt zu dem, was Rilkes menschliche Leidens-
fahigkeit ausmacht, noch eine personliche Besonder-
heit hinzu: der „Infanteristenrock“ ist nicht nur der
der Kriegszeit, sondern auch der seiner Militarschul-
zeit, deren Erinnerung in sich heraufzurufen er sich
nie hatte entschlieBen konnen, die zu jenen letzten
dunkelsten Erinnerungen gehorte, vor deren heim-
licher Wucht er sich gewaltsam abgekehrt verhielt.
Auch die „Wiederkehr des Gleichena in Venedig ent-