Rainer Maria Rilke / Lou Andreas-Salomé.
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dem exakten Verarbeiten von AuBenmaterial und der ungeheuren Verinnerlichung, die ihr „Material“ aus letzten Fernen und Tiefen erst fiir die Arbeit herauf- • • beschwort. Abgesehen von alledem, behalten Uber- setzungen fiir so zauberhafte Einftihler, wie Rilke es war, iiberdies an sich groBen Reiz. Schon wahrend unserer allerersten Bekanntschaft enthielt er sich, des Franzosischen noch wenig kundig, nicht, mancherlei Verse in diese Sprache, gleichsam aus sich selber, zu iibersetzen; bemerkenswerter ist, daB er auf der langen Reise durch RuBland das gleiche im Russischen tat: aus tiefem Verlangen und, obwohl grammatikalisch arg, doch irgendwie unbegreiflich dichterisch (die Titel dieser sechs Gedichte lauten in der Reihenfolge ihrer Entstehung: erstes Lied; zweites Lied; der Mor¬ gen; der Greis; die Feuersbrunst; das Antlitz). Nichts ware verkehrter, als zu glauben, die Beschaftigung mit Fremdsprachen weise bei Rainer auf unvollkom- mene Liebe zu der seinigen - wie man es torichter- weise ihm unterschob, als er in seinem letzten Lebens- jahr eigene franzosische Gedichte herausgab. Das Gegenteil ist wahr; als ich, wahrend seines vieljahrigen Pariser Aufenthalts dort gelegentlich die Befiirchtung auBerte, ob ihn das nicht der feinsten, letzten Intimi- tat zum Deutschen entfremden konne, antwortete er lebhaft: „0 nein! diese Intimitat wachst drawl Bedenke nur, wie viele, viele Worter ich mir spare durch ihren